Montag, 31. Mai 2021

Rezension: Steffen Kopetzky * Monschau

Gebundene Ausgabe: 352 Seiten
Verlag: Rowohlt  
ISBN-13: 
978-3737101127
Preis: 22,00 EUR
E-Book: 19,99 EUR
Reihe: 1/1
Erscheinungsdatum: März 2021
 
 
 
 
Inhalt:
Ein alarmierender Anruf aus Monschau erreicht Dr. Günter Stüttgen, dort sollen die Pocken ausgebrochen sein. Mit seinem Assistenten Nikos Spyridakis macht er sich auf den Weg, um den Verdacht zu prüfen und dann dementsprechend zu handeln. Das Schlimmste scheint sich zu bewahrheiten und es ist Eile geboten, damit sich das Virus nicht weiter ausbreitet. Während Stüttgen die Organisation im Auge behält, bleibt sein Assistent Nikos bei den Rither-Werken und betreut die Mitarbeiter, denn trotz Epidemie muss das Werk Aufträge einhalten. Dort lernt Nikos die Erbin Vera Rither kennen und nicht nur die Liebe zur Musik scheint die beiden zu verbinden. Allerdings tobt das Virus und die Mediziner mit den Politikern. Können sie die Pocken aufhalten? Wird das Werk geschlossen? Und gibt es für die aufkeimende Liebe zwischen Nikos und Vera eine Chance?

Meinung:
Steffen Kopetzky hat schon einige Romane geschrieben und wurde von der Presse hochgelobt. Nun nimmt er sich einem brisanten Thema zu einer unbeständigen Zeit an. Wir leben alle selber in einer Pandemie und wollen wir dann über eine lesen? Also mich konnte er mit dem Klappentext erreichen. Denn aus Geschichte sollte man ja lernen und da es diese Pocken-Epidemie wirklich gegeben hat, war ich doch interessiert, wie man 1962 damit umgegangen ist. Wie mir das alles dann tatsächlich gefallen hat, erzähle ich euch nun.

Eigentlich hatte mich schon der Autor mit seinem gewählten Anfangszitat von Goethe, es passte einfach auch zu jetzt und gab den Maßstand an. Ein Kind wird ins Krankenhaus geschafft, aber die wunderbare Bürokratie und die Ärzteschaft gaben nicht klein bei, nein, statt Aachen wurde es wieder Monschau und ehe man es sich versah, gibt man einen heiklen Virus einfach mal an ein paar Seelen weiter. Schnell kann es gehen, sehr schnell. So muss Dr. Stüttgen ausrücken, ein Arzt, der schon in Indien bei Viruserkrankungen geholfen hat und sich mit der Organisation solch eines Wahnsinns auskennt. So verlässt er mit Nikos Düsseldorf und fährt in die hübsche Eifel nach Monschau. Dort wird das Krankenhaus direkt unter Qarantäne gesteckt und das Tauziehen mit der Politik beginnt. Patient 1 ist nämlich ein Monteur der Rither-Werke gewesen, den größten Arbeitgeber in der Umgebung und mit diesem will man sich nicht anlegen, vor allem wegen so einen kleinen Virus. Da hilft kein Menschenverstand, sondern die Mediziner müssen Kompromisse eingehen und so wird Nikos Betriebsarzt und ist ständig bei Mitarbeitern auf Visite, um das Schlimmste zu verhindern. Das ist der große Ausgangspunkt, aber die Geschichte beinhaltet so viel mehr.

Mit seinen Beschreibungen der Zeit und der Umgebung hatte mich der Autor direkt in das Jahr 1962 hinein katapultiert. Da ich auch die Umgebung von Düsseldorf und auch Monschau kenne, war ich auch kopfmäßig sofort darauf eingestellt. Dazu kommt auch, dass es nicht nur um die Pocken-Erkrankung geht, sondern auch noch über alte Kriegsgeschichten vom 2. Weltkrieg, man merkt einfach, das die Vergangenheit noch viel Raum in den Köpfen der Menschen hatte und das es so immer noch zu Rivalitäten und Anfeindungen geht. Allein die Karnevalszene war da sehr gelungen, wie ein Grieche (Nikos ist aus Kreta) es mit den Rheinländern aufnimmt. Oder auch die alten Wehrmachtsanhänger, Verräter erkennen und diesen nichts Gutes wollen. Es ist eine Zeit des Aufschwungs, aber auch noch der Bewältigung und mitten drin eine junge Frau, die sich ihrer Vergangenheit stellen will und diese auch abstreifen.

So nimmt sich der Autor so viele kleiner Stricke an und verpackt diese so gelungen ineinander, das diese gar nicht so schwer ins Gewicht fallen, sondern etwas großes Ganzes ergeben. Dabei fand ich die Geschichte überhaupt nicht schwerfällig, sondern äußerst spannend und interessant zu lesen. Na klar ist die Liebesgeschichte zweier so unterschiedlicher Persönlichkeiten auch ein kleines Zugpferd, denn man möchte ja wissen, ob sich die reiche Schönheit auch in einen einfachen jungen Mann verliebt. Aber auch die Drahtzieher im Hintergrund bleiben nicht unentdeckt und geben der Geschichte eine weitere Würze. Ich wusste nicht, dass es eine Pocken-Epidemie gab, da bin ich vielleicht noch zu jung zu und meine Generation wurde direkt gegen die Pocken geimpft, ich dachte, diese Impfung wäre schon viel älter. Da sieht man mal wieder, wie man sich mit dem Zeitgefühl vertun kann. Und was sich wieder ganz toll heraus kristallisiert hat, ist der Mensch, alles schreitet voran, nur der Mensch bleibt auf der Stelle. Immerhin hat die Politik sowie die Wirtschaft mit den Medizinern genauso agiert wie heute. Was lernt man aus der Geschicht, der Mensch verändert sich nicht.

Monschau ist ein toller, recherchierter Einblick in früherer Geschichte und unterhält trotz brisantem Thema richtig gut. Spannend, lehrreich und nachhallend. Ich mochte es sehr.
 

Henry und ich hatten tolle Lesestunden und vergeben die vollen Bücherpunkte:

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Über den Autor:
 

 
Steffen Kopetzky, geboren 1971, ist Autor von Romanen, Erzählungen, Hörspielen und Theaterstücken. Sein Roman «Risiko» (2015) stand monatelang auf der «Spiegel»-Bestsellerliste und war für den Deutschen Buchpreis nominiert, der «Spiegel»-Bestseller «Propaganda» (2019) für den Bayerischen Buchpreis. Von 2002 bis 2008 war Kopetzky künstlerischer Leiter der Theater-Biennale Bonn. Er lebt mit seiner Familie in seiner Heimatstadt Pfaffenhofen an der Ilm.
 
 
Vielen lieben Dank an den Rowohlt Verlag für das  Rezensionsexemplar.  
 

Montag, 17. Mai 2021

Rezension: Fabian Neidhardt * Immer noch wach

Gebundene Ausgabe: 268 Seiten
Verlag: Haymon
ISBN-13:
978-3709981184
Preis: 22,90 EUR
E-Book: 17,99 EUR
Reihe: 1/1
Erscheinungsdatum: Februar 2021
 
 
 
 
Inhalt:
Alex hat es geschafft, er und sein bester Freund haben ihr Café eröffnet. Es läuft gut, es macht Spaß, es füllt ihn aus. Doch sein Körper spielt nicht immer so mit und so gibt es den einen oder anderen Schwächemoment. Seine Freundin begleitet ihm zum Arzt und die Diagnose ist erschütternd, Krebs. Magenkrebs, wie bei seinem Vater. Alex will keine Therapie, er will die Zeit mit seinen liebsten Menschen verbringen und sie so verlassen, dass sie nicht das böse Ende mit erleben müssen und beschließt, ins Hospiz zu gehen. Dort wartet er auf sein Ende, aber das will nicht kommen. Bei der normalen Untersuchung wird festgestellt, dass man Alex fehldiagnostiziert hat und er gesund ist. Aber wie soll man an sein altes Leben wieder anknüpfen? Wie seinen Freunden gegenüber treten? Und was stellt man mit der geschenkten neuen Zeit an?

Meinung:
Über das Ableben spricht man nicht gern, es ist in unserer Gesellschaft immer noch ein Tabu. Ganz klar, es ist ja auch kein leichtes Thema, wie geht man selber damit um, hat man sich über sein eigenes Ableben schon Gedanken gemacht und alles für sich geregelt? So ist natürlich auch Literatur darüber nicht unbedingt leicht und doch hat mich das Buch angesprochen. Zum einen gab es schon begeisterte Stimmen dazu und zum anderen ist dieses Buch ja nicht unbedingt ein Abschied, sondern auch ein Beginn. Ob ich es bereut habe, es zu lesen, erzähle ich euch nun.

Der Roman beginnt mit einer überhasteten Fahrt und einem Ziel, was zwar dem Protagonisten bekannt ist, aber dem Leser nicht und so steckt man direkt mittendrin. Alex erzählt von seiner Ankunft im Hospiz, aber gleichzeitig erleben wir, was zu dieser Ankunft geführt hat. Nämlich sein Leben davor und das war doch gar nicht so schlecht.

Alex ist ein guter Typ, sympathisch, ehrlich und zum Anlehnen. Statt in einem Büro zu versauern, starten er und sein bester Freund mit einem Café durch und erfühlen sich so ein Traum. Aber bis dahin hat Alex schon einiges durch gemacht. Seinen Vater hat er früh an dem Krebs verloren und auch seine Mutter ist schon nicht mehr da, allein ist Alex trotzdem nicht, denn sein bester Freund Bene ist immer da und auch seine große Liebe Lisa. Zusammen sind sie ein Team, eine Einheit und unzertrennlich. Doch dann der Schock, Alex hat Magenkrebs und entscheidet sich nichts dagegen zu tun. Er will die Zeit nutzen, um seine Liste von Wünschen noch abzuarbeiten, bei den Menschen sein, die er liebt und dann, bevor es schlimm wird, ins Hospiz zu verschwinden, ohne dessen Adresse preis zugeben. Es ist ein ungewöhnlicher Wunsch für die Menschen, um ihn herum schwer zu akzeptieren und vielleicht auch ein bisschen egoistisch heroisch. Aber wer seine Vergangenheit kennt und sieht, wie er seinen Vater begleitet hat, der kann ihn besser verstehen. Und dann der große Knall, kein Krebs, kein Ende, sondern zurück auf null. Und da fängt die Geschichte erst an.

Fabian Neidhardt hat mit seiner Geschichte was unglaublich Warmherziges geschaffen. Und die Geschichte macht etwas mit einem beim Lesen. Klar denkt man selbst, was würde man tun. Wie würde das eigene Leben aussehen, wenn man wüsste, das man nur noch ein halbes Jahr hat. Wie sieht die eigene Liste von Wünschen aus und welche Entscheidungen würde man da selber treffen. Vor allem, wenn es keine Heilung gibt, wie beim Magenkrebs, sondern nur Lebensverlängerung. Es ist ein tragischer Ausgangspunkt und doch erleben wir erst recht im Hospiz Schicksale und Leben wieder, die einfach gelebt werden mussten. Dazu noch die tollen Figuren und man verschlingt diese Geschichte einfach. Mir persönlich hat Kasper verdammt gut gefallen, ich habe da ja ein Faible für kauzige Eigenbrötler mit schwarzem Humor, er gibt die richten Impulse. So erzählt der Autor von viel Leben, von Schmerz, von Trauer, aber das mit einer warmherzigen, einfühlsamen Ader, dabei lässt er seine Geschichte nie ins kitschig abdriften oder langsamer werden.

Für mich war dieser Roman ein tolles, bewegendes Buch, was richtig gut unterhält, dabei aber auch nachdenklich stimmt und trotzdem nie den Humor verliert. Eine tolle Harmonie und Balanceakt zwischen Leben und Tod, Lachen und Weinen, Mut und Trauer. Ein toller Roman mit so viel mehr als nur Alex Geschichte. Wie ihr seht kein bisschen bereut, sondern sehr geliebt.

Immer noch wach ist ein Roman, der einen bewegt, einfühlsam erzählt, aber auch zum Lachen bringt. Große Erzählkunst mit einem Thema, was nicht unbedingt leicht daher kommt. Kann ich nur empfehlen.
 
Henry und ich waren emotional gepackt und dafür gibt es die vollen Bücherpunkte:

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Über den Autor:
 

 
Schreibt mit links, seit er einen Stift halten kann, und erzählt Geschichten, seit er 12 ist. 1986 als erster von vieren in eine polnisch-italienische Familie geboren, lebt in Stuttgart. Nach dem Volontariat beim Radio studierte er Sprechkunst und Kommunikationspädagogik an der staatlichen Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Stuttgart und Literarisches Schreiben am Literaturinstitut Hildesheim. Bis Mai 2019 absolvierte er die Ausbildung zum Storyliner bei der UFA Serienschule in Potsdam. Seit 2010 sitzt er als Straßenpoet mit seiner Schreibmaschine in Fußgängerzonen und schreibt Texte auf Zuruf. 2019 entwickelte er den Prosaroboter, der auf Knopfdruck Geschichten ausdruckt. 2020 ist er Stipendiat des Förderkreises deutscher Schriftsteller in Baden-Württemberg.
 
 
Vielen lieben Dank an den Haymon Verlag für das  Rezensionsexemplar.