Freitag, 3. März 2023

Rezension: Jo Leevers * Café Leben

Gebundene Ausgabe: 320 Seiten
Verlag: Droemer  
ISBN-13:
978-3426282809
Preis: 20,00 EUR
E-Book: 17,99 EUR
Reihe: 1/1
Erscheinungsdatum: November 2022
Übersetzer*in: Maria Hochsieder
 
 
 
 
Inhalt:
Henrietta muss unbedingt diesen Job bekommen, unbedingt, sonst hat sie ein Problem. Obwohl, das hat Henrietta ja so schon, denn sie ist speziell, mit Menschen kann sie nicht so gut und grenzt sich gern aus, da ist der Job für sie wie gemacht. Sie soll an einem Tisch im Café der Rosendale-Krebsambulanz sitzen und todkranken Menschen zuhören und deren Lebensgeschichte aufschreiben, damit die Angehörigen etwas haben, woran sie sich festhalten können. Für Sentimentalitäten hat sie keine Zeit, alles muss akribisch und mit Checkliste aufgeschrieben werden. Doch als Annie an ihrem Tisch tritt, ist schnell klar, dass ihr Plan alles nach Vorschrift zumachen, nicht funktioniert. Annie möchte nämlich gar kein Buch, für wem auch da gibt es niemanden, aber sie möchte sich ihre Geschichte von der Seele sprechen. Henrietta hört zu und merkt schnell, dass in dieser Geschichte etwas nicht stimmt und so beginnt sie herum zu schnüffeln und merkt erst spät, das ihr die Lebensgeschichte näher geht als gedacht. Was wird Henrietta über Annie heraus bekommen? Ist Abstand zum Leben wirklich zu empfehlen? Und wird Henrietta über sich selbst hinaus wachsen?

Meinung:
Als ich damals durch die Verlagsvorschauen blätterte, ist mir dieses Buch ins Auge gesprungen und der Klappentext hörte sich super an. Wir grenzen in unserem Leben den Tod gern aus, aber doch gehört er dazu. Und der Spruch, dass jeder Mensch eine Geschichte hat, die sich zu erzählen lohnte, war dann das i-Tüpfelchen, das ich es unbedingt auch lesen wollte. Außerdem wollte ich wissen, wie die Autorin mit dem Thema umgeht und nun habe ich es gelesen und erzähle euch, wie es mir gefallen hat.

Henrietta lebt mit ihrem Hund Dave zusammen und hält sich gern aus dem Leben raus, nicht nur bei anderen, sondern auch bei ihrem Eigenen. Sie ist diszipliniert, akribisch und empathielos. Klare Fakten, nüchtern aufschreiben und der Nächste bitte. Nur funktioniert das Leben so nicht, was Henrietta auch bei diesem Job, den sie bekommen hat, schnell merkt. Ihr reicht das Bloße zu hören nicht, sie möchte das bitte nach Plan und alles detailliert und nach chronologischer Zeitschiene. Ihre erste Lebensgeschichtspatientin macht ihr aber direkt klar, das sie das vergessen kann. Sie möchte ihre Geschichte nach ihrem Tempo erzählen und Annie hat eine traurige Geschichte zu erzählen. Ihre Schwester verschwand mit Anfang zwanzig, ihr Verschwinden wurde nie aufgeklärt und dann rutschte sie in eine gewalttätige Ehe, aus der sie erst vor zwei Jahren raus kam und als ob sie nicht ein bisschen Frieden verdient hätte, bekam sie Krebs. Ihre Uhr tickt ziemlich laut und sie muss schnell erzählen. Und Henrietta lässt Annies Geschichte über die tote Schwester nicht los und sie beginnt nachzuforschen.

Zwei unterschiedliche Frauen, zwei gegensätzige Leben und doch können beide noch voneinander lernen. Diese Idee der Autorin fand ich ganz toll und auch das es ein bisschen nach Kriminalfall roch, konnte mich zu beginn der Geschichte begeistern, aber mit der Umsetzung kam ich am Ende nicht klar.

Henrietta blieb mit ihrer stocksteifen, unnahbaren Art einfach blass, uninteressant, leider sogar nervig bis unerträglich. Obwohl man daraus einen super Charakter hätte machen können. Gerade mit ihren Wunderlichkeiten und mit ihrer eigenen Geschichte im Hintergrund. Da war mir Annie schon näher, sie blühte nach ihrer trostlosen Ehe auf, fing endlich an zu leben und erfand sich neu bis zum nächsten Schicksalsschlag. Ihre Passagen zu lesen fielen mir leichter, obwohl der Inhalt ein trauriger und schmerzhafter war. Die Einbettung des Verschwindens von Annies Schwester tat der Geschichte ganz gut und doch triftet sie irgendwann ab. Das war ein bisschen zu viel des Guten und macht es auch leider unglaubhafter. Überhaupt wurde ich mit der Erzählweise der Autorin nicht warum. Für mich zu nüchtern, holprig und sperrig. Es waren nur 300 Seiten, aber es fühlte sich viel länger an, weil ich überhaupt nicht in den Lesefluss kam.

Ohne Frage, das Begleiten von Freunden oder Familie bei schlimmen Krankheiten ist ein ganz Wichtiger und es ist nicht einfach, mit einer solchen Situation umzugehen. Jeder braucht etwas anderes, manche können ganz unbedarft mit der Person reden und manchen fällt es schwer, überhaupt dort zu sein. Abgesehen davon, was der oder die Sterbende benötigt. Die Tante von meinem Mann war ganz wunderbar, sie hatte die Gabe, es nie nach einem Krankenbesuch aussehen zu lassen, sondern nach einem gemütlichen Kaffeeklatsch. Wir vermissen sie sehr. Dagegen erinnere ich mich an die schlimme Krankheit meines Vaters, der extrem mitleidig und mürrisch war/ist und es einem nicht leicht gemacht hat. Aber wie wichtig es ist, sich mit dem Tod zu beschäftigen, spiegelt auch diese Geschichte wieder. Es gehört zum Leben, aber es ist immer noch ein Tabu-Thema. Vielleicht sollte man offen darüber reden, mutiger sein, sich dem Thema mehr stellen, denn uns erwartet alle das gleiche.

Café Leben beinhaltet ein wichtiges Thema und die Idee dazu finde ich immer noch großartig, nur wurde ich nicht warm mit Figuren und Schreibstil. Mich konnte es nicht erreichen, abholen oder nahegehen, aber viele andere Leser schon.
 
Henry und ich wollten die Geschichte so gern mögen, aber leider wurden wir nicht warm damit und deshalb zwei Bücherpunkte:  
 
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Über die Autorin:
 
 

 
Jo Leevers, geboren und aufgewachsen in London, schreibt für zahlreiche Magazine, u.a. für The GuardianThe ObserverThe TelegraphWorld Of Interiors und Living. Ihr Spezialgebiet ist Interior Design. Sie hat zwei erwachsene Kinder und lebt mit ihrem Mann und der Hündin Lottie in Kent. Café Leben ist ihr Debütroman.
 
 
Vielen lieben Dank an den Droemer Knaur Verlag für das  Rezensionsexemplar.
 

Mittwoch, 1. März 2023

Rezension: Ann-Helén Laestadius * Das Leuchten der Rentiere

Gebundene Ausgabe: 448 Seiten 
ISBN-13: 978-3455012941
Preis: 25,00 EUR 
E-Book: 15,99 EUR 
Reihe: 1/1
Erscheinungsdatum: Oktober 2022
Übersetzer*in: Maike Barth und Dagmar Mißfeldt
 
 
 
 
Inhalt:
Elsa ist neun, als sie sich mit Skiern auf den Weg zu den Rentieren ihrer Familie macht, denn sie möchte unbedingt zuerst da sein und ihr Rentier sehen. Fast dort angekommen, überrascht sie einen Wilderer, der nicht nur ihr geliebtes Rentier abschlachtet, sondern auch ihr zu verstehen gibt, was passiert, wenn sie ihn verrät. Geschockt bleibt sie zurück, sie kennt diesen Mann, er ist ein Schwede aus dem Nachbardorf und ihre Scham nimmt zu, weil sie sich nicht traut, ihren Eltern alles zu erzählen. Dieser Mann ist schon länger ein Problem, doch die Familie scheint machtlos der Situation gegenüber zu sein, da die Polizei und auch die Politik nichts unternimmt. Der Tod von Elsas geliebtem Rentier wird einfach als „Diebstahl“ abgestempelt, aber sie vergisst nicht. Die Zeit vergeht und Elsa wird erwachsen und für sie gibt es kein Leben ohne die Rentiere und das bedeutet, das sie kämpfen muss, für ihre Familie, für ihre Stammesleute und für ihr Recht. Was kann sie als einzelne Frau bewirken? Wie kann sie für ihr Recht kämpfen? Und was muss noch alles passieren, damit die samischen Rentierhirten erhört werden?

Meinung:
Dieses Buch wurde mit dem Vergleich von „Der Gesang der Flusskrebse“ beworben und ganz ehrlich, ich mag so was nicht. Für mich stand der Titel schon allein ziemlich im Vordergrund und da ich die Polarlandschaft und Rentiere faszinierend finde, war das schon der Ausschlag für mich, es lesen zu wollen. Na gut, ich mag auch Bücher über starke Frauen und war gespannt, ob Elsa so eine ist. Ansonsten hatte ich mich wenig mit dem Thema auseinandergesetzt und habe verdammt viel dazu gelernt. Ob es nicht nur lehrreich, sondern auch unterhaltend war, erzähle ich euch nun.

Elsa ist eine Neunjährige, als die Geschichte beginnt und so erleben wir alles durch ihre Kinderaugen. Wir erleben Streit zwischen den Eltern, Wut auf Polizei und Gesetzgebung, ein Bruder, der vieles ändern möchte und nicht darf und ein Dorf, was ausgegrenzt wird. Dazu kommt der Vorfall mit Elsas Rentier und ihr Unverständnis wächst, warum tut keiner was und sie selbst traut sich nicht, alles zu verraten. Aber sie hält an dem Ohr ihres toten Rentiers fest und vergisst nicht. Der Stapel der abgelehnten Anzeigen wird größer, die Mutlosigkeit nimmt unter den Rentierhaltern zu und das Schweigen wird immer lauter. Ein hartes, unnachgiebiges Leben führen die Samen und Elsa will sich der Resignation nicht anschließen, sie möchte für ihr Recht, ihr Leben und für ihr Volk kämpfen. Und vor allem dem Wilderer das Handwerk legen, denn diese Kindheitserinnerung hat ihr ganzes Leben mit Angst, Scham und Wut begleitet.

Meine Mutter hat sich sehr für Native American interessiert und so einige Bücher angesammelt, die nun mir gehören. Meine Begeisterung hielt sich immer in Grenzen, aber auf Bitten und Drängen hatte ich mal eins angefangen und diese Geschichte hat mit so furchtbar wütend gemacht. Ein ganzes Volk wird ausgemerzt, verdrängt, unsichtbar gemacht und wie Abfall behandelt. Keine Rechte, in Reservate abgeschoben, ausgenutzt und ohne Perspektiven weggesperrt. Was für eine Ungerechtigkeit, welche ein Ohnmachtsgefühl und welch rasende Wut man da empfindet. Da hat sich ein patriotisches Volk nicht mit Ruhm bekleckert und dabei ist es nicht mal ihr Land. So, das musste raus, was ich aber nicht wusste, ist, das es die Schweden ähnlich mit dem Samen (veraltet Lappen) auch so machen. Ein Volk, was hoch im Norden von Skandinavien lebt und sich auf einem Siedlungsgebiet niedergelassen hat. Genau wie die Native American müssen sie mit Rassismus, Ausgrenzung, Menschen zweiter Klasse und ohne Rechte leben, denn der Schwede kommt immer zu erst. Allein für den geschichtlichen Aspekt lohnt es sich, dieses Buch zu lesen. Es ist angefüllt mit Beschreibungen von Traditionen, Stammeskleidung, Festen und deren hartes Leben, ohne die Handlung aus dem Blick zu lassen.

Ann-Helén Laestadius hat eine starke Protagonistin erschaffen, Elsa ist hartnäckig, bleibt am Ball, nervt die Gesetzeshüter, zwingt sie zum Handeln und wird auch selbst zur Spurenleserin. Sie kann die Ungerechtigkeit nicht mehr ertragen und auch das sinnlose töten ihrer Rentiere, was auch die Existenz ihres Volkes bedroht. Eindringlich beschreibt die Autorin die Situation aber auch malerisch und bildgewaltig. Was für eine Landschaft, was man im Schnee alles lesen kann und das knirschen von Schritten im Schnee, war beim Lesen hörbar. Erst hatte ich etwas Sorge, das sie die ganze Zeit aus der Sicht der Neunjährigen erzählt, da alles nur umschrieben wurde, ohne das Thema wirklich zu benennen, aber mit ihren Zeitsprüngen und der erwachsenen Elsa war ich total am Ball. Man fiebert einfach mit, man möchte Gerechtigkeit oder zumindest das die Polizei nicht immer die Augen verschließt und man möchte, dass Elsa ihren Platz bekommt. Denn auch eine Frau hat es in der Welt der Rentierhirten nicht einfach. Viele Themen, toll ausgearbeitet und begeistert geschrieben. Ich fand es großartig.

Das Leuchten der Rentiere ist lehrreich, bildgewaltig und fesselnd. Ein Appell gegen Hass und Fremdenfeindlichkeit. Beeindruckend und mitreißend erzählt noch dazu.
 
Henry und ich waren extrem beeindruckt und vergeben die vollen Bücherpunkte:  
 
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Über die Autorin:
 
 
 

 
Ann-Helén Laestadius (*1971) ist eine schwedische Journalistin und Autorin und gebürtige Sámi. In Schweden war sie bereits für ihre vielfach preisgekrönten Kinder- und Jugendbücher sehr bekannt, bevor sie mit ihrem ersten Roman für ein erwachsenes Publikum, "Das Leuchten der Rentiere", einen Nummer-1-Bestseller landete. Der Roman wurde u.a. als Buch des Jahres 2021 ausgezeichnet. Ann-Helén Laestadius lebt in der Nähe von Stockholm.
 
 
Vielen lieben Dank an den Hoffmann und Campe Verlag für das Rezensionsexemplar.