Sonntag, 5. Juni 2022

Rezension: Fabio Geda * Was man sieht, wenn man über das Meer blickt

Gebundene Ausgabe: 320 Seiten
Verlag: hanserblau
ISBN-13: 
978-3446271364
Preis: 20,00 EUR
E-Book: 15,99 EUR
Reihe: 1/1
Erscheinungsdatum: April 2022
Übersetzer*in: Verena von Koskull
 
 
 
 
Inhalt:
Andrea stürzt Hals über Kopf ins Krankenhaus, zu seiner Frau, nur um in Schmerz und Trauer zu versinken. Sie haben das Baby verloren und stecken fest in Gefühlen, in Hilflosigkeit und einer schweren Ehekrise. Während sich seine Frau wieder in die Arbeit stürzt, möchte Andrea nach New York dahin zurück, wo er mal glücklich war und zu einer Kunstausstellung. Und er macht es auch, er fliegt über den Ozean in die große Metropole und schafft den Rückweg nicht mehr. Im Strudel der Erinnerungen, seinen Gefühlen und dem Wissen, nirgends richtig angekommen zu sein, vergeht die Zeit wie im Fluge. Erst als er eine Familie findet, die ihn in ihr Leben lässt und Andrea sich endlich wohlfühlt, muss er sich entscheiden, stellt er sich seiner Vergangenheit, oder beginnt er ein neues Leben. Wird Andrea nach Italien zurückkehren? Wo ist sein Herz wirklich im Gleichgewicht? Und kann man dumme Entscheidungen rückgängig machen?

Meinung:
Fabio Geda ist für mich kein Unbekannter, denn mit seinem Roman „Ein Sonntag mit Elena“ hat er mir schon wunderbare Lesestunden geschenkt. Einfühlsam und doch leicht erzählt, konnte er mich begeistern und aus einem verregneten Sonntag einen strahlenden machen. Nun steht ein Mann in der Lebenskrise auf dem Plan, und ob der Autor mit dieser Geschichte auch so ein tolles Gefühl auslösen konnte, erzähle ich euch nun.

Andrea ist ein Mann, der irgendwie noch nicht fertig ist, der sein Leben noch nicht wirklich gefunden hat und gerade einen schweren Schicksalsschlag abbekommt. Seine starke Frau, die das Geld verdient, die ihn alle Freiheiten lässt, verliert ihr Baby und das macht den großen Spalt zwischen den Eheleuten noch größer, unüberwindbar. So flüchtet jeder in seine Ecke, versucht mit der Trauer, dem Schmerz, dem Verlust klar zu kommen und entfernen sich nur immer mehr voneinander. Während Andrea als Aushilfslehrer weiter nach einem Job sucht, stürzt sich seine Frau wieder voll ins Berufsleben und hat für ihren Mann immer weniger übrig. Und dann trifft Andrea einen alten Freund, damals sind die beiden nach New York gegangen und hatten die Zeit ihres Lebens, während Andrea nach Italien zurückgekehrt ist, ist der Freund geblieben, und so werden alte Gefühle wieder wach und Andrea ist der Überzeugung, er muss nach New York, um sich seine Leben zu stellen. Aber kann diese Stadt seine innerliche Leere füllen? Jeden Tag geht er zur Kunstausstellung, verbringt dort seinen ganzen Aufenthalt und immer am Abflugtag kann er nicht ins Flugzeug steigen. Irgendwann passt es seiner Frau nicht mehr und sie lässt alle seine Karten und Konten sperren. Statt zu ihr zurück zufliegen, treibt er durch New York ein Ausgestoßener, ein Verloren gegangener und auch ein Suchender, bis zu diesen einen Tag, wo ihn ein Junge findet und seinen Leben einen Schups gibt. Mehr verrate ich nicht, denn das ist noch lange nicht alles, was Andrea erlebt. Auf seiner Odyssee zu seinem Glück.

Diese Lektüre war nicht so eine leichte Kost, wie ich gedacht und erwartet hatte. Das schwere Gewicht an Gefühlen konnte man zwar schon erahnen, aber Andrea ist keine leichte Figur. Zu gern geht er Entscheidungen aus dem Weg, lässt sich tragen und vergisst dabei, was sein Handeln bei anderen auslösten könnte. In seiner Ehe hat seine Frau die Hosen an, in New York lässt er sich nur treiben und dann macht er auch einen großen Fehler. So konnte ich ihn oft nicht nachvollziehen und sein Handeln verstehen, immer sein Fluchtverhalten und dann diese Asthenie, die sich nach zog und diese Zeit, um sich zu finden, um eine Entscheidung zu treffen, war nicht immer so einfach. Andererseits zeigt es auch auf das Männer eine große emotionale Seite haben, eine Unsicherheit zum Leben und nicht immer der stärkere Part sein können und müssen. Andrea ist eine Figur, die eigentlich ein Zeitbild darstellt, nicht wissen, wohin man gehört, wohin man soll und zu spät mitbekommt, das man schon da ist, weil die Vergangenheit sich doch wieder einschleicht. Auf dieser Achterbahn einer Lebenskrise macht unser Protagonist doch einiges mit und auch wenn ich nicht immer seinen Weg verstanden haben, mag man diesen Typen einfach gern.

Fabio Geda schreibt stimmungsvoll, manchmal leicht, manchmal poetisch und auf jeden Fall mit einer Prise Humor. Diesmal verweilt er nicht nur in Italien, sondern reist mit uns Lesern über den ganzen Globus. In diesen 300 Seiten passiert so viel, es begegnen einen so viele Schicksale, die den laufen der Geschichte ändern können oder auch nicht. Die Andrea leiten, helfen, aber auch anstupsen, etwas zu ändern und was Menschlichkeit bedeutet. Diese Geschichte war nicht so locker leicht, sondern verlangt auch etwas ab und ausgesöhnt hat mich der Autor auf jeden Fall mit seinem Ende, wo man durchatmet, lächelt und das Buch sanft zuschlägt. Ein Autor, der das Leben einfängt und erzählerisch wunderbar wieder gibt, allein durch seine sprachliche Gewandtheit schafft er so viel mehr aufs Papier, wie man einfangen kann, es berührt und erfühlt.

Was man sieht, wenn man über das Meer blickt, ist die Odyssee eines Mannes in einer Lebenskrise. Stimmungsvoll, reisefreudig und aussöhnend. 

 
Henry und ich hatten turbulente Lesestunden und vergeben vier Bücherpunkte:
 
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Über den Autor:
 
 

Fabio Geda, 1972 geboren, arbeitete viele Jahre mit Jugendlichen und schrieb für Zeitungen. Seine Romane "Im Meer schwimmen Krokodile" und "Ein Sonntag mit Elena" brachten ihm international den Durchbruch und standen auch in Deutschland auf der Bestsellerliste. Fabio Geda lebt in Turin.

 
 
Weitere Werke von Fabio Geda:
 

 
Vielen lieben Dank an den hanserblau Verlag für das  Rezensionsexemplar.