Freitag, 4. September 2020

Rezension: Marco Balzano * Ich bleibe hier


Gebundene Ausgabe: 288 Seiten
Verlag: Diogenes
ISBN-13: 
978-3257071214
Preis: 22,00 EUR
E-Book: 18,99 EUR
Reihe: 1/1
Erscheinungsdatum: Juni 2020
Übersetzer: Maja Pflug




Inhalt: 
Trina ist eine junge Frau, die gerne Lehrerin werden möchte und sich dafür auch mächtig ins Zeug legt. Allerdings sind die Zeiten im idyllischen Südtirol alles andere als unbeschwert. Zuerst ziehen die Faschisten durchs Land und knechten die Bauern. Verbieten ihr das Unterrichten und gehen mit Regelbrechern schwer ins Gericht. Darauf folgt der Nationalsozialismus, für einige, der erhoffte Befreiungsschlag, für andere die weitere Katastrophe, denn Krieg folgt. Dazu schwebt die ständige Gefahr des Staudammbaues über dem Tal, der die Bewohner immer wieder angedroht wird und ihr Dorf überfluten würde. Ein unbeständiges Leben für alle und Trina‘s Schicksal ist davon kein anderes. Wie wird sie die Zeit erleben? Kann sie den Schrecken entfliehen? Und wird sie mit ihrem Widerstand etwas bewegen?

Meinung:
Mich hat dieses Cover förmlich angezogen und die Frage, was steckt da für eine Geschichte dahinter, das dieser Turm allein im Wasser steht. Somit war für mich klar, dass ich auf unserer Urlaubsrundreise einen Abstecher zum Reschensee machen möchte, und war wirklich da. Landschaftlich einnehmend, dieser Turm zieht einen magisch an und der Abstecher hat sich gelohnt. Allerdings ist im Heute die Dramatik nicht mehr spürbar, wenn Kinder mit ihren Luftmatratzen um den Turm paddeln. Nach dem Besuch habe ich nun das Buch gelesen und ob sich auch diese Geschichte lohnt, erzähle ich euch nun.

Die Südtiroler Gegend gehörte in den 1930er Jahren schon zu Italien, aber davon ist in der Bergregion nichts zu merken. Ihre Sprache ist weiterhin deutsch, ihr Leben weiterhin bescheiden und ihre Arbeit hart. Trotzdem sind die Bewohner zufrieden, leben unbeschwert und genießen ihre grünen Wiesen. Aber der Faschismus hält Einzug, die Zeiten werden rauer, ihre Sprache wird nicht mehr unterstützt und Trina‘s Träume, als Lehrerin zu arbeiten, platzen. So bleibt für sie nur die Möglichkeit, im Untergrund heimlich zu unterrichten und Kindern etwas beizubringen. Und schon zu dieser Zeit gibt es Pläne für einen Staudamm, die geraten aber in den Hintergrund, weil eine weitere Macht sich erhebt. Der aufkommende Nationalsozialismus ist für viele im Dorf die erhoffte Hilfe gegen den Faschismus und wird weitestgehend willkommen geheißen. Nur wenige äußern Bedenken und sehen eine neue Gefahr hereinbrechen. Für viele Bewohner ist es an der Zeit, den Bergen zu entfliehen und sich der neuen Macht anzuschließen. Aber was für ein Schicksal erwartet die Zurückgebliebenen? Können sie bleiben? Und was ist mit dem Staudamm? Diese Sorgen können sie zurückstellen, denn der Krieg kommt. Soviel zu dem historischen Hintergrund dieser Gegend, der einen erstaunt, überrascht und dem idyllischen Eindruck mit anderen Augen betrachten lässt.

Trina ist die Hauptprotagonisten und schreibt ihre Geschichte für ihrer Tochter auf. So erfahren wir von ihrem heranwachsen, ihren Träumen und Wünschen. Wie sie ihren Mann heiratet, wie sie zusammen leben und wie der Wandel der Zeit über ihre Familie einbricht. Von dem einst lebensfrohen und unbekümmerten Mädchen wird sie zu einer stillen Frau. Die politischen Jahre verlangen ihr einiges ab, fordern Opfer und Entbehrungen. So muss sie in den Kriegsjahren um ihr Überleben kämpfen, bangen und doch nicht verzweifeln. Sie muss so viele Schicksale ertragen, und doch hätte sie ihre Heimat nie verlassen, obwohl der Staudamm diese immer bedrohte. Trina ist doch für diese Zeit eine besondere Figur, da sie lesen und schreiben konnte, Italienisch verstand und so immer wieder von allen Bauern aufgesucht wird. Selbst ihr Mann zog sie immer mit ein, und das zu einer Zeit, wo Frauen nicht so viel zu sagen hatten. Aber irgendwie wusste Trina auch immer, wo ihr Platz war.

Marco Balzano erzählt hier ein Stück Zeitgeschichte und lässt durch Trina eine fiktive Erzählung mit einfließen. Aber solch eine Figur wird es gegeben haben und macht damit die Geschichte runder. Er beschreibt das einfache Leben, hart arbeitende Land- und Viehbauern, die in dieser Gegend schon seit Jahrhunderten verwurzelt sind und kein anderes Schicksal kennen. Bis die Politik und die Macht diese Region zerreiben und ein ganzes Dorf bis zur Belastungsprobe treiben. So beherrscht die ganze Geschichte eine dramatische und melancholische Grundstimmung, da man ja weiß, wie das alles enden wird. Durch die gewählte einfache Sprache lässt sich die Geschichte auch mühelos verschlingen, und man ist einfach erstaunt, was für eine bewegende Zeit diese Menschen aushalten mussten. Wie sie hin und her geschupst wurden und wie man über ihre Existenz hinweggegangen ist, davon spürt man vor Ort nichts mehr. Marco Balzano hat mich mit seinem Roman einfangen können und hat mir ein Stück Zeitgeschichte geschenkt. Ich habe es unglaublich gern gelesen, was ich mir aber gewünscht hätte, wäre ein bisschen mehr Tiefe von Trina gewesen. So bleibt sie oft etwas farblos, sparsam an Emotionen und recht eindimensional. Bestimmt so gewollt, aber hätte für mich die Geschichte besser abgerundet.

Ich bleibe hier, ist eine gelungene Mischung aus Historischen und Fiktion, ein Stück Zeitgeschichte, was einnimmt, schockt und berührt. Am Ende grübelt man über aktuelle Machtverhältnisse nach. Der Mensch lernt ja nicht aus Geschichte, und dafür brauchen wir solche Bücher.
 
Henry und ich waren fasziniert von der bewegenden Geschichte und dafür gibt es vier Bücherpunkte:


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Über den Autor:


Marco Balzano, geboren 1978 in Mailand, ist zurzeit einer der erfolgreichsten italienischen Autoren. Er schreibt, seit er denken kann: Gedichte und Essays, Erzählungen und Romane. Neben dem Schreiben arbeitet er als Lehrer für Literatur an einem Mailänder Gymnasium. Mit seinem letzten Roman, ›Das Leben wartet nicht‹, gewann er den Premio Campiello, mit ›Ich bleibe hier‹ war er nominiert für den Premio Strega. Er lebt mit seiner Familie in Mailand.

Quelle: Diogenes Verlag

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