Montag, 21. September 2020

Rezension: Wiebke von Carolsfeld * Das Haus in der Claremont Street


Gebundene Ausgabe: 368 Seiten
Verlag: KiWi
ISBN-13:
978-3462054750
Preis: 20,00 EUR
E-Book: 16,99 EUR
Reihe: 1/1 
Erscheinungsdatum: September 2020
Übersetzer: Dorothee Merkel
 
 
 
 
Inhalt:
Tom spielt mit seinen Transformers, als er die Geräusche seiner streitenden Eltern hört. Er duckt sich tiefer in die Welt seiner Figuren und versucht, die Realität auszublenden. Aber der Schrei der Mutter reißt ihn heraus, die Schritte des Vaters machen ihm Angst und plötzlich ist nichts mehr, wie es war. Seine Welt existiert nicht mehr und Tom verstummt. Nun soll sich die kinderlose Tante Sonya um ihn kümmern, aber mit dieser Aufgabe ist sie überfordert, kommt nicht an den Jungen ran und gibt ihn an ihre chaotische Schwester Rose weiter. Nun muss er in die Innenstadt von Toronto ziehen, und zwar in die Claremont Street. Dort lebt nicht nur Rose, sondern auch ihr Sohn Nick und Will, Toms Onkel. Dieses Haus steckt voller Unordnung, Leben und nun kommt auch noch Schweigen hinzu. Das versuchen sie zwar zu kompensieren, aber die Stille ist nicht zu überhören. Dazu kommt auch noch das Jugendamt, und das Leben. Kann Rose Tom erreichen? Wird dieses Haus Toms Schweigen brechen? Und wie geht die Familie mit dem Tod der verstorbenen Schwester um?

Meinung:
Dieses Jahr wäre Kanada das Gastland für die Frankfurter Buchmesse gewesen und somit bringen die Verlage doch den einen oder anderen Titel heraus. Aber dieses Jahr ist ja alles andere als planbar und so ist nächstes Jahr auch noch Kanada am Start, aber einige Bücher dürfen wir nun doch schon lesen und diese Geschichte ist mir doch direkt ins Auge gesprungen. Eine Familiengeschichte mit dramatischen Ausgangspunkt, die für Schmerz, Trauer, Schuld, aber auch mit Neuanfängen aufwartet. Übrigens hat die Autorin, bevor sie nach Kanada ausgewandert ist, ihre Ausbildung bei diesem Verlag gemacht und nun erscheint ihr Buch dort, ich finde manche Lebensüberschneidungen einfach herrlich schicksalhaft. Aber nun zum Buch, ob es mir gefallen hat, erzähle ich euch nun.

Tom ist neun, als das Leben brutal zuschlägt und ihn allein zurücklässt. Er ist so verstört und weiß gar nicht, wie er damit umgehen soll, dass er einfach nicht mehr spricht. Was soll er auch sagen, er hätte mutiger sein müssen, er hätte seine Mutter retten müssen, aber kein Wort der Welt bringt ihn zu diesem Abend zurück und lässt ihn anders handeln. Nun wird er zu seiner Tante Sonya gebracht. Eine Frau, die gern alles in Ordnung hat, die gern die Woche vorab plant und ihr Leben im Griff hat. Zumindest ist das der Schein, innerlich kämpft sie mit dem unerfüllten Kinderwunsch und mit ihrem Leben, was so anders hätte sein sollen. Deshalb wirkt sie oft kühl, belehrend und scheitert an Tom. Statt sich selbst den Druck zu nehmen und Tom einfach laufen zu lassen, muss Sonya ihre perfekte Welt zum Einsturz bringen und den Jungen an ihre Schwester Rose abgeben.

Rose lebt mit ihrem Sohn und Bruder im alten Elternhaus und dort herrscht das pure Chaos. Türme aus schmutzigen Geschirr, ein Schuhberg am Eingang, Bücher auf der Treppe und überall übervolle Schränke und Schubladen. Kurz um Tom gerät von einem Extrem ins nächste. Aber diese Familie, so ungewöhnlich, wie sie sein mag, mit Nick, der in der Pubertät ist, Will, der immer noch nicht weiß, was er machen möchte und Rose, die nach ihrer Mitte sucht, ist es das erste Zuhause für Tom. Hier fühlt sich Tom geborgen und hier möchte er nicht weg, aber diese Familie ist alles andere als einfach. So kämpft sie mit Toms Stille, mit dem Jugendamt, mit innerer Wut, mit der Trauer und treibt statt zusammen auseinander, bis zur nächsten Katastrophe.

Wiebke von Carolsfeld hat sich keinen leichten Ausgangspunkt für ihre Geschichte ausgesucht, häusliche Gewalt ist aber unter uns und wie es enden kann, sieht man hier leider verdammt gut. Die Zurückgelassenen müssen mit der Last der Schuld und der Trauer umzugehen lernen und sich ihren Vorwürfen stellen. Es ist für alle Beteiligten keine leichte Zeit und die Verarbeitung macht so einige Probleme und sorgt für neues Chaos und Unverständnis. Toms Schweigen ist für alle eine Belastung und so hat der Junge größtenteils seine Ruhe und doch ist seine Familie für ihn da, auch wenn sie es selber erst noch richtig lernen müssen. Genau das macht diese Geschichte so lebendig, echt, diese nicht perfekten Figuren, die alle zu Wort kommen, deren Leben, deren Wege und ihre unvergleichlichen Entscheidungen. Jede Figur kämpft mit eigenen Dämonen, mit Träumen, die sich nicht erfüllen und wie es in Familien so ist, ist sich auch nicht jeder grün. Aber für Tom müssen sie eine Lösung finden, einen Weg und das sein Schweigen sie zum Umdenken bewegt, ist herrlich zu lesen.

Diese ganze Geschichte, die mit Trauer und Schuld durchzogen ist, liegt aber nicht schwer auf der Seele, sie berührt unglaublich nachhaltig, bringt einem aber auch zum Lachen, zum wissenden Grinsen, zum Kopfschütteln über fragwürdige Entscheidungen und lässt einen mittendrin dabei sein. Alle Mitglieder dieser Familie gehen zu Herzen und lassen einem nicht los und dieses starke Zugehörigkeitsgefühl ist einfach perfekt eingefangen und lässt den Leser mit dabei sein.

Das Haus in der Claremont Street ist ein Roman voller Emotionen, tragisch, schmerzhaft und doch spielen auch Humor und Liebe eine große Rolle. Eine Geschichte, wie das Leben sie schreiben könnte und eine absolute Leseempfehlung für alle, die unmögliche Familiengeschichten mögen.
 
Henry und ich hatten große Freude mit dem Ausflug nach Toronto und dafür gibt es fünf Bücherpunkte:

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Über die Autorin:
 
 
 

Wiebke von Carolsfeld ist eine in Deutschland geborene Schriftstellerin und Filmemacherin, die in Montreal lebt. Sie führte bei drei von der Kritik gefeierten Spielfilmen Regie, u.a. »Marion Bridge« und »The Saver« und gewann zahlreiche Preise. Sie ist eine renommierte Cutterin für Spielfilme und gibt internationale Kurse über das Drehbuchschreiben, Filmemachen und den kreativen Prozess. »Das Haus in der Claremont Street« ist ihr erster Roman. 

 
Quelle: KiWi Verlag

Vielen lieben Dank an den KiWi Verlag für das  Rezensionsexemplar. 
 

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