Freitag, 18. September 2020

Rezension: Sandra Gugic * Zorn und Stille

Gebundene Ausgabe: 240 Seiten 
ISBN-13: 978-3455009767
Preis: 24,00 EUR 
E-Book: 16,99 EUR 
Reihe: 1/1 
Erscheinungsdatum: August 2020 


Leseprobe? Kaufen? 


Inhalt:
Billy Bana ist Fotografin und ist auf der ganzen Welt unterwegs, das macht sie somit zu einer Nomadin. Früh hat sie ihr Elternhaus hinter sich gelassen, ausbrechen wollte sie und diese Enge hinter sich lassen. Nun erreicht sie ein Anruf, dass ihr Vater verstorben ist, und sie muss sich der Vergangenheit stellen. Somit kehrt sie in die Heimat ihres Vaters zurück, die er selber hinter  sich, aber wohl nie los gelassen hat. Als Gastarbeiter ist er nach Wien gegangen, um es für seine Familie besser zu machen. Aber so richtig glücklich ist die Familie nicht geworden. Warum sind die Eltern damals ausgewandert? Warum wollte die Tochter so schnell weg von alldem? Und wo ist ihr Bruder hinverschwunden?

Meinung:
Als ich das Buch in der Vorschau entdeckt hatte, war ganz klar Wien ein großer Grund für mein Interesse. Aber auch die Suche nach dem eigenen Platz im Leben und was das Wort Heimat eigentlich wirklich bedeutet. Somit war ganz klar, dass ich es lesen wollte, immerhin ist mir der Begriff heimatlos nicht ganz unbekannt, wenn sich alles auf einmal auflöst, verändert und manches in der geschichtlichen Vergangenheit verschwindet. In Wien habe ich mit dem Buch begonnen, zu Hause habe ich es beendet und nun erzähle ich euch davon, ob es mir gefallen hat.

In dieser Geschichte bekommt nicht nur Billy eine Stimme, nein, auch die Eltern dürfen einen Teil dazu beitragen, aber Billy darf zuerst. Eigentlich heißt sie Biljana Banadinowic und wurde in damaligen Jugoslawien geboren. Ihre Eltern wollten eine besser Zukunft, sie hatten Träume von einem besseren Leben und sind somit nach Wien gegangen, wo zu dieser Zeit Gastarbeiter gesucht wurden. Aber dort bestand das Leben aus viel Arbeit. So wurde Biljana dazu erzogen, still zu sein, die Enge auszuhalten und mit der Umgebung zu verschmelzen. Eine Familie nach Zeitplan, wann, wo und wie alles abzulaufen hat. Durch die vielen Jobs hatten die Eltern wenig Zeit und so musste die Tochter später auch auf dem Bruder aufpassen. Billy kann es kaum noch aushalten und bricht mit 17 Jahren in ihr eigenes Leben auf, ohne zurück zuschauen. Aber so ganz wird sie die Schatten nicht los und so kreuzen sich die Familienwege immer mal wieder. Das ist der erste große Teil des Romans, darauf folgen Mutter und Vater mit ihrer Geschichte, mit ihren Einblicken, ihren Träumen und Lebensentscheidungen. Somit bekommt Billys Bild über die Eltern risse und man entwickelt ein anderes Verständnis für die Familie.

Die Autorin erzählt sehr komplex, eindringlich, gefühlvoll eine moderne Familiengeschichte, die mit den Wogen der Zeit zu kämpfen hat und dran zu zerbrechen droht. Wer wünscht sich für seine Familie nicht eine bessere Zukunft? Wer träumt nicht davon, den Weg der Kinder besser zu ebenen? Und welcher junge Mensch möchte nicht aus der eigenen Familie ausbrechen? Die Eltern waren auch randvoll mit Träumen, Energie und Vorstellungen, die aber mit der Realität kollidierten und zu Schatten des eigenen Lebens wurden. Allein für diese Beschreibung lohnt sich diese Geschichte, die detailgenau diese Gefühle wiedergibt und ein Bild einer ganzen Generation spiegelt. Von Menschen, die funktionieren müssen, die ihre eigenen Bedürfnisse zurückstellen, um einfach zu sagen, zu überleben. Eine Generation, die es hart getroffen hat, die sich so heute gar nicht mehr vorzustellen ist. Genau das zeigt auf, wie gut die Autorin beobachtet und solche Feinheiten sprachlich wie bildlich dem Leser näher bringt. Und dann jüngere Generation ins Spielfeld einbringt und aufeinanderprallen lässt.

Dieser Roman, so dünn, wie er erscheinen mag, hat eine geballte Ladung an Gefühlen parat und ist ein großes Bild unserer Gesellschaft. Da haben wir Zorn der Jüngern auf die Alten, weil sie sich in ihr Schicksal einfach reinfallen lassen haben. Dagegen die Stille und die Erkenntnis, dass Träume schön sind, aber nicht immer die reale Welt. Ein Lebenskampf ist nicht immer ein Siegeszug und manches lässt einen eben nicht los. Mann kann es aber auch anders interpretieren, aber der Titel ist perfekt gewählt und wiederholt sich auf so vielen Ebenen. Es ist wirklich ein Roman, der einen mitfühlen lässt, der oft melancholisch schwer auf der Seele liegt, einem viele kleine Wahrheiten eröffnet und vor Augen führt. Unglaublich stark erzählt und feinfühlig zu beobachten.

Zorn und Stille, fängt das Leben einer ganzen Generation ein und ist richtig stark erzählt. Mich konnte die Geschichte sehr berühren und tief nachfühlen lassen.
 
Henry und ich fanden diese Fülle an Emotionen großartig und deshalb gibt es die vollen Bücherpunkte:


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Über die Autorin:
 


Sandra Gugić, geboren 1976 in Wien, ist eine österreichische Autorin serbischer Herkunft. 2009 begann sie zu schreiben. Sie studierte an der Universität für Angewandte Kunst in Wien und am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Für ihre Arbeit wurde sie mehrfach ausgezeichnet. 2012 gewann sie den Open Mike. Ihr erster Roman Astronauten (C.H. Beck) erschien 2015 und erhielt den Reinhard-Priessnitz-Preis. 2019 erschien ihr Lyrikdebüt Protokolle der Gegenwart im Verlagshaus Berlin. Zuletzt wurden ihr das Stipendium des Berliner Senats und das Heinrich-Heine-Stipendium zugesprochen. Sandra Gugić lebt als freie Autorin mit ihrer Familie in Berlin.



Vielen lieben Dank an den Hoffmann und Campe Verlag für das Rezensionsexemplar. 

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